Larchkam
Prolog

Keuchend schaute sich Sieher’ra um und war darauf bedacht einen Fuß vor den anderen zu setzen um nicht ausversehen auf dem verwurzelten Boden zu stolpern. Die Nacht war kalt und der Atem gefror in den Lumpen, die sie um ihren Hals gebunden hatte. Wieder und wieder drehte sie sich um. Sie lief immer schneller, teils um ihrer Verfolger abzuschütteln, teils um die Gedanken aus ihrem Kopf zu vertreiben, in der sie sich die schlimmsten Folterungen vorstellte. Bestimmt war sie jetzt schon eine Stunde unterwegs, konnte jedoch ihrer Verfolger nicht abschütteln. Normalerweise würden ihr lange Strecken nichts ausmachen, jedoch zerrte die Kälte an ihr und das kleine Bündel, dass sie schleppte. Sieher’ras Verfolger jedoch waren Männer und lange Strecken gewöhnt. Sicherlich waren sie schwerer und trugen Rüstungen aus Metall, doch Sieher’ras lange Gefangenschaft zeigte, dass ihre Muskeln stark abgenommen hatten.
In einem unbedachten Moment, als Sieher’ra sich erneut umdrehte um den Abstand zwischen ihr und den Männern abzuschätzen, stolperte sie und ließ das Stoffbündel fallen. Sofort fing ein Baby an zu schreien und zu weinen. Sie achtete nicht weiter darauf, raffte sich schnell auf, nahm das Baby wieder auf den Arm und entschloss, dass es besser wäre abzubiegen. So verließ sie den kleinen Pfad in dem Wald und lief nun über stark bewurzelten Waldboden, der mit vielen kleinen Büschen übersäht war. Die kalte Luft stach ihr immer weiter in der Kehle und nahm ihr die Kraft das Tempo zu halten. Als sie nach einer Weile an das andere Ende des Waldes kam bemerkte sie Lichter die aus Fenstern kamen. Ein kleines Dorf. Sie blieb stehen und blickte sich in dem geschützten Wald um. Sieher’ras Verfolger sind den kleinen Pfad weitergelaufen, ohne zu Bemerken, dass sie einen Haken geschlagen hatte. Sie überlegte kurz. Normalerweise mied sie Dörfer, in denen Menschen oder sonstiges Leben herrschte. Sie würde unter freiem Himmel schlafen, doch die Kälte und das Neugeborene zwangen sie einen warmen Unterschlupf zu suchen.
Bedacht ging sie auf die Lichter zu. Das Dorf war nicht gerade groß, gerade mal 250 Menschen lebten in ihm. Die Straßen waren eng, gerade so breit das bequem eine Kutsche durchfahren konnte. Die Gassen waren leer, niemand wagte sich in dieser Stunde aus seinem warmen Haus. Nur vor der Dorfschenke `zum gläsernen Haus` brannte ein Licht und Musik drang aus dem Innern. Sieher’ra wickelte sich den Lumpen um den Kopf, bis nur noch ihre Augen zu sehen waren, nahm das Kind eng an ihrer Brust und ging in die Kneipe.
Innen war es angenehm warm. Ein kleines Feuer knisterte in einem Ofen, jedoch reichte das Licht nicht um die Stube vollends zu erhellen, der hintere Teil lag im Schatten und strahlte eine für Sieher’ra gewohnte Ungemütlichkeit aus. Der Boden war dreckig und die Tische wurden anscheinend auch nicht öfters geputzt. Es war nicht viel los. Fünf Mann saßen um einen runden Tisch und tranken ihr Bier. Langes Gestöhne und Wehklagen kam von ihnen, es sah so aus als ob sie sich öfters treffen um zu trinken, die Gespräche waren eher zweitrangig.
„Was willst du hier? Dies ist kein Ort für eine Frau. Scher dich wieder nach Hause wo du hingehörst.“ Der Wirt sah nicht sehr erfreut aus, als er Sieher’ra erblickte. Er zog Rotz durch seine lange Hakennase und spukte ihn in einen Eimer, der am Boden stand, dabei blieb etwas von dem schleimigen Zeug in seinem Bart hängen, der ihm bis an die Brust reichte. Er sah nicht besonders nett aus, und seine Augen und die wettergegerbte Haut ließ von harter Arbeit zeugen. „Ich benötige ein Zimmer, nicht ihre Höflichkeit oder ihren Ratschlag.“ Bestimmt und mit einer bewussten Härte schaute Sieher’ra den Wirt an und machte damit ihre Dringlichkeit klar, dass sie nicht verschwinden würde. „Scher dich zum Teufel, verzogene Köre. Du sollst eins bekommen, aber wehe das Kind fängt an zu quengeln und vertreibt mir die anderen Gäste.“
‚Von wegen andere Gäste,‘ dachte sich Sieher’ra ‚bis auf die paar Trunkenbolde gibt es hier keine anderen Gäste, und die würden nicht einmal merken wenn ein Gewitter direkt über ihnen hereinbräche, so betrunken wie die sind.‘ Sie hielt sich zurück um nicht doch noch rausgeschmissen zu werden. Als sie schließlich nach oben gingen und vor einem Zimmer stehen blieben, holte der Wirt ein Bündel mit verschieden Schlüsseln hervor, er schloss die Tür auf und übergab sie Sieher’ra. „Kann ich sonst noch etwas für dich tun?“ Sieher’ra nahm die Schlüssel in die Hand und schaute sich in dem kleinen Zimmer um „ein warmes Essen und Milch, sowie eine Schüssel mit heißem Wasser.“ In ihrer Stimme war etwas Befehlendes.
Eine halbe Stunde später kam der Wirt wieder und brachte die Gewünschte Mahlzeit, sowie die Schüssel mit heißem Wasser. Er donnerte alles auf den Tisch, um seinen Argwohn zu zeigen, wunderte sich jedoch ein bisschen, dass die Frau immer noch an dem Fenster mit dem Kind stand, ohne es sich bequem zu machen. „Normalerweise lasse ich keine Menschen in meine Gemächer, die nicht einmal den Anstand haben ihr Gesicht zu zeigen. Aber bei einer Frau brauche ich mir wohl wenig Gedanken zu machen.“
‚Von wegen: Gemächer, außerdem benötigt er Geld, ich glaube es ist ihm gänzlich egal, welche Gestalten ihr hausen.‘ Sieher’ra schaute das Stoffbündel an.
Mit rauer Stimme verabschiedete der Wirt sich und warf die Türe hinter sich zu. ‚Doch, eine sehr merkwürdige Stimme, mit südländlichem Akzent‘ dachte er noch, wollte aber schnell das Gespräch vergessen, es gefiel ihm nicht, dass er sich von einer Frau so rumkommandieren ließ.

Sieher’ra legte das Kind auf das Bett und begann langsam ihm die Stofffetzen abzunehmen. Sie bemerkte, dass nur noch Glut in dem kleinen Ofen herrschte und warf ein neues Holzscheit in den Kamin, sofort loderte das Feuer mit einem Knistern wieder auf und strahlte angenehme Wärme aus. Sieher’ra nahm die Stoffe von dem Kind und wusch sie in dem heißen Wasser, danach hängte sie die Stoffe über den Kamin um sie zu trocknen und setzte sich neben dem Baby. Sie betrachtete es lange. Es lag keinerlei Zuneigung in ihrem Blick. Das Neugeborene hatte noch keine Haare und die Haut schimmerte wie nasse Erde. Die kleinen spitzen Ohren und die mandelförmigen dunklen Augen schauten zu ihr hinauf. Sieher’ra versuchte es zu streicheln, zog jedoch sofort wieder ihre Hand zurück und nahm stattdessen ein sauberes Tuch und fing an das Kleine zu säubern. Sofort fing das Baby an zu schreien, da Sieher’ra nicht daran dachte, dass das Wasser noch kochend heiß war und der weichen Haut des Kleinen Schmerz zufügen konnte. Als sie ihn umdrehte und seinen Rücken waschen wollte, erschrak sie und stieß fast das Wasser um. Sieher’ra wusste zwar, was sie erwartet, doch hatte sie sich noch lange nicht an den Anblick gewöhnt. Kleine schwarze Linien durchzogen den Rücken des Kindes. Es war ein uraltes Geschenk, doch nicht für ihr Volk gedacht. Mit einem ihrer Finger verfolgte sie die Linien, sie wusste, dass es das Schlimmste aller Dinge war, die sie und ihrem Mann geschehen konnte, denn es war ein bedrückender Beweis. Die kleinen Symbole und Linien konnten heute nur noch wenige lesen, und es gab keine bekannte Schrift, der sie ähnelte um sie vielleicht unbedürftig entziffern zu können. Sieher’ra riss sich von dem Anblick los und fing wieder an dem Kind den Dreck wegzuputzen. Nachdem sie fertig war, nahm sie ihn auf den Arm und es roch nach frischer Erde. „Du brauchst einen Namen.“ Es war eher eine Feststellung als Zuneigung.
„Larchkam. So sollst du heißen.“ Das Neugeborene zitterte in der Kälte, Sieher’ra lag es zurück auf das Bett und kümmerte sich nicht weiter um die Qualen des Kleinen. Sie widmete sich ihrem Essen. Erschöpft setzte sie sich an dem Tisch und schlang das gebratene Fleisch mit der Pilzsuppe hinunter, nahm den Kanten Brot und biss genüsslich hinein. Die Milch war schnell wieder kalt geworden, doch das störte nicht. Sie holte die Stoffe, die sie zum Trocknen aufgehängt hatte und wickelte Larchkam wieder ein. Sie enthüllte ihren Kopf von den Lumpen, die sie um ihren Körper und Kopf geschlungen hatte um sie ebenfalls zu säubern. Zum Vorschein kam eine zierlich, gebrechliche Gestalt. Ihre Haut war ebenfalls dunkelbraun und ähnelte dem Waldboden. Die Augen und ihr langes Haar, das bis zu den Kniekehlen hing, waren von einem Schwarz das alles Licht verschluckte, aber ein gewisser silberner Schimmer lag auf ihnen. Ihre Finger und ihr Gesicht waren sehr feingliedrig und lang. Durch die langen Haare konnte sie ihr auffälligstes Merkmal gut verstecken, die spitzen Ohren. Sieher’ra hängte die Lumpen ebenfalls vor den Ofen, während sie trockneten gab sie Larchkam die Brust bis er gesättigt war, legte ihn auf das Bett und holte einen kleinen Lederbeutel hervor. Sie fing an die Münzen zu zählen, die ihr ihr Mann als Liebesbeweis mit auf den Weg gegeben hatte, damit sie und Larchkam fliehen konnten. Es war etwa soviel, dass man gut ein Jahr davon leben konnte, vielleicht auch zwei, wenn man sparsam damit umging.
‚Ich werde mir ein Pferd kaufen und morgen weiter ziehen‘ entschied sie stumm. Als die Laken trocken waren, wickelte sie sie wieder um den Körper und ging zu Bett, mit Larchkam im Arm schlief sie schließlich völlig erschöpft ein.

Am nächsten morgen, als es gerade hell wurde und ein Hahn den Tag ankündigte war Sieher’ra schon Aufbruch bereit, sie zahlte die Kosten für die Unterkunft und erkundigte sich nach einem Pferdehändler. Immer auf der Hut vor ihren Verfolgern lief sie die Straße entlang, der der Beschreibung des Wirtes nahekam. Tief in ihrem Innern wusste sie zwar, dass sie ihre Verfolger erst einmal abgeschüttelt hatte, wollte sich aber nicht zu sicher wissen. Als sie die Stallungen erreichte, schaute sie sich um und fand schließlich den Verkäufer. Er war an die 50 Jahre alt und hatte ebenso wie der Wirt einen langen Bart, der den größten Teil seines Gesichtes verbarg. Allerdings waren seine Augen sehr hell und freundlicher gesinnt, als die des Wirtes. „Ich brauche ein Pferd“ Sieher’ra war es egal ob der Stallmeister freundlich war oder nicht, sie wollte sich nicht lange mit Gesprächen aufhalten. „Wo soll es denn hin gehen, junge Dame? Oder brauchen sie ein Arbeitstier?“ er lächelte Sieher’ra freundlich an. „Meine Wege bleiben mein Geheimnis, aber sie haben Recht, ich brauche ein Tier das schnell und ausdauernd ist.“ Der Mann begriff, dass man bei der Frau mit Freundlichkeit nicht weiterkam und schlug schnell in seinen Geschäftston um. „Warten sie hier.“
Nach einer Weile brachte er vier junge ungestüme Tiere aus dem Stall und band sie an den Zaun vor dem Stall. „Das ist ‚Bergerklimmer‘,“ mit seiner riesengroßen Pratze, zeigte er auf einen Schimmel. „Er ist kaum fünf Jahre alt und würde sich auf eine lange Reise sicherlich freuen. Jedoch ist er sehr temperamentvoll und sollte von einem erfahrenen Reiter geritten werden.“ Damit kam er zum zweiten, einem wundervollen Fuchs dessen Fell in der Sonne rötlich schimmerte. „ Das ist ‚Ziddah‘. Wie ‚Bergerklimmer‘ ist es ein wundervolles Tier. Allerdings sehr kraftvoll und sollte von einem Mann geritten werden. Die Stute ist gerade erst fünf Jahre geworden.“ Er ließ sich nicht aufhalten und kam zu dem Braunen „‘Goldstahl‘ ist ein Tier in mittlerem Alter. Gewiss ist er nicht so schnell wie die anderen, aber ein sehr treues und braves Tier. Und nun zu meiner schönsten Stute. Sie ist vier Jahre und eigentlich ein recht zahmes Tier. Ihr Name lautet ‚Selverslin‘.“ Beim Anblick der schwarzen Stute, die wirklich sehr schön war, da ihre Fesseln in weißes Fell übergingen, wusste Sieher’ra, dass sie die richtige war, jedoch nicht wegen ihrem schimmernden Fell, sondern wegen ihres Namens. „Wie kommt ein Bauer wie du zu solch einem außergewöhnlichen Namen?“ In ihrer Stimme lag tiefe Verachtung.
„Das wiederum bleibt mein Geheimnis. Doch in Anbetracht deiner Unhöflichkeiten, wäre es wohl besser auf dein Geld zu verzichten und dir kein Tier zu Verkaufen.“ Der Stallmeister hatte allmählich genug, sich von einer Frau so beschämen zu lassen und wollte wirklich aus dem Geschäft aussteigen. Doch bevor er sich wirklich entschied es bleiben zu lassen gab ihm Sieher’ra die Münzen und das Pferd gehörte ihr. „Selverslin“ murmelte sie und das Tier stieg schlagartig in die Höhe. Es hielt sich etwa eine halbe Minute auf seinen Hinterläufen und ließ dann kraftvoll ihre Vorderfüße auf das Pflaster preschen. „Gut,“ sagte Sieher’ra zu dem Stallmeister, der mit offenem Mund neben ihr stand. „Sie hat mir ihre Kraft gezeigt und ich denke es war eine gute Entscheidung, ich danke dir.“ Mit diesen Worten verabschiedete sie sich und stieg auf die Stute.
‚Soetwas hat sie noch nie gemacht‘ dachte der Stallmeister noch und betrachtete die schnell verschwindende Sillhoutte der Frau.
Sieher’ra ritt schnell aus dem Dorf und hielt Larchkam fest in ihrem linken Arm. ‚Wenn ich schnell bin, könnte ich das nächste Dorf, in dem ich übernachten kann schon heute gegen Abend erreichen.‘
Der Weg war mühsam, verglichen mit ihren Qualen in der Vergangenheit jedoch, wie ein erholsamer Tag am Meer. Die Sonne schien erbarmungslos herab und die Landschaft veränderte sich nur langsam. Sieher’ra blieb nahe am Fluss und hielt nur an um Selverslin zu tränken. Als die Sonne so hoch stand, dass es den Mittag ankündigte, hielt Sieher’ra jedoch gegen ihren Willen an, da Larchkam schon seit einer Stunde durchgehend geschrien hatte. Schnell wickelte sie den kleinen aus seinen Tüchern, säuberte ihn am Fluss und hängte die nassen Lumpen an den Sattel. Stillte ihn noch kurz und wickelte ihn in ein neues sauberes Tuch. Dann ging es auch schon weiter. Selverslin wurde kaum müde und strotze vor kraft. Am Abend erreichten sie ihr Ziel. Das Dorf ‚Klottoh‘. Es war ein bisschen größer als das Dorf am Vorabend.

So ging es eins ums andere. Sieher’ra und Larchkam kamen nach zwei strapazvolle Wochen endlich an ihr Ziel an. Gegen Mittag erreichten sie das Dorf ‚Zelledooh‘, indem sich Sieher’ra niederlassen wollte. Es war ein großes Dorf mit ungefähr 1000 Einwohnern. Auch Selverslin war sichtlich erleichtert als ihr Sieher’ra etwas ins Ohr flüsterte. Die Reise war vorerst zu Ende. Zelledooh lag tief im Land und nicht allzu bekannt. Sieher’ra hatte einmal zwei Männer davon reden hören, als sie noch eine Gefangene ihres eigenen Volkes war.

# 10 Jahre später

Die Sonne ging gerade auf, als Larchkam ungestüm aus dem Haus rannte und beinahe über die Tür stolperte. Er musste so schnell wie möglich Selverslin und das junge Fohlen füttern, bevor seine Mutter Sieher’ra aufwachte. Es war seine Aufgabe sich um die Tiere zu kümmern, danach hatte er frei und konnte machen was er wollte. Sieher’ra, die auch Larchkam so nannte, sorgte sich nicht viel um ihren Sohn – es lag nicht in ihrer Natur die Fürsorgliche zu spielen, wenn ein Kind sich auch um sich selber kümmern konnte. Nachdem die Rösser versorgt waren ging Larchkam in den Wald in sein geheimes Versteck und wartete dort auf Senath, seinem besten und wohl auch einzigen Freund. Etwas verspätet und mit zwei toten Hasen traf Senath schließlich ein. Seine Haut sowie seine Augen waren hell. In ihnen lag ein grünlicher Schimmer. Die Haare, die er bis auf Schulterlänge trug, waren braun und wild gelockt. „Wir wollten doch zusammen jagen gehen!“ etwas beleidigt lugte Larchkam hinter einem Baum hervor, der das Versteck der Beiden am besten tarnte. „Sei nicht gleich eingeschnappt. Sie liefen mir eben gerade über den Weg. Außerdem wollte ich unbedingt die neuen Pfeile testen. Du hattest recht, sie sind schneller als unsere Alten und verfehlen ihr Ziel nur selten.“
Larchkam sprang hinter dem Baum hervor und wollte Senath beinahe schlagen – er hatte nicht nur schon gejagt, sondern auch noch die Frechheit besessen, die von ihm hergestellten neuen Pfeile auszuprobieren. Normalerweise war er es – Larchkam – der sich die Freiheiten nahm, auf andere Gefühle nicht zu achten, doch auch sein Freund Senath war unberechenbar. „Sieh es als Geschenk an, schließlich wirst du heute zehn Jahre. Ich wollte dir eine Freude machen und dir das Jagen ersparen.“ Frech grinsend sah er Larchkam an, der immer röter wurde. Senath wusste, dass es gleich Prügel geben würde, denn er hatte das eigentliche Geschenk an Larchkam selbst erledigt, das Jagen und Töten anderer Lebewesen. Die Beiden, Senath und Larchkam kannten sich seit Jahren und hatten schon so einigen Unsinn zusammen begangen, doch es gab öfters Streit als Frieden zwischen ihnen. In einer Sache waren sie sich aber so einig wie sonst kaum jemand, nur das Streiten und Schlägern hielt das Band der Freundschaft zwischen ihnen so stark.

Mit kaum sechs Jahren hatten sich die beiden kennen gelernt. Senath wurde mal wieder von seinem Vater verprügelt, da er einen Eimer Wasser im Stall verschüttete. Senaths Vater ‚Hargrim‘ war ein bekannter Dorfsäufer und war fast jeden Tag betrunken, auch an diesem Tag hatte er sich weit über Seine Grenzen besoffen und rastete schließlich aus. Mit blauen Flecken, Blutergüssen und einer großen Platzwunde am Kopf hatte Senath sich in den anliegenden Wald retten können. Er heulte knapp eine Stunde, bis er erneute Schmerzen in der Rippengegend verspürte. Erschrocken sah er auf, da er dachte sein Vater Hargrim, der Säufer, hätte ihn gefunden, doch stattdessen stand Larchkam vor ihm und lächelte nur gemein auf ihn herab. Senath wand sich vor Schmerzen, hatte aber seine Furcht schnell verloren. Er kannte Larchkam aus dem Dorf und wusste das er ein sehr gemeines Kind war, das kam ihm gerade recht. Schnell sprang er auf seine Füße und schlug Larchkam so hart mit seiner Faust gegen das Kinn, dass der einen Ruck nach hinten tat und sich mit dem Fußballen in einem Wurzelgeflecht verhedderte, worauf er flach auf dem Rücken lag. Nun war Senath es, der sich über ihn beugte und ihm hart gegen die Rippen trat. Senath setzte sich auf die Brust seines Gegners, schrie ihn auf beleidigende Weise an und prügelte ihm das Gesicht blutig. Endlich konnte Senath den ganzen Frust aus sich heraus lassen den sein Vater verursacht hatte und der sich seit Jahren in ihm anstaute. Leid tat es ihm nicht, als er aufstand und das zerschundene Gesicht von Larchkam sah. Senath wusste, dass der Junge grausam war, er hatte schon viele Katzen und Hunde getötet, nur aus Freude, sojemand verdient keine Gnade. So kam es, dass sich Larchkam und Senath öfters im Wald trafen um ihre Kräfte zu messen. Meistens gewann Larchkam, aber Senath wurde nach und nach auch immer stärker.

„Was ist, Heulsuse?“ Larchkam wollte sich heute einfach nicht aufregen, obwohl es ein ziemlicher Schlag in den Magen war, als er sich über die zwei Hasen beugte. Er stand wieder auf und entfernte sich ein Stück von ihrem Lager, dass sie inzwischen mit Decken und einem kleinen Strohdach hergerichtet hatten, um Holz für ein kleines Lagerfeuer zu suchen. Senath dagegen starrte noch einen Augenblick lang auf Larchkam und versank in die tief versteckte Vergangenheit ihres ersten Treffens. Schroff riss Larchkam Senath aus seinen Gedanken „Was gaffst du mich so an? Hast du nichts zu tun? Oder sollte ich anstatt der Hasen dich auf den Grill werfen? Los fang an Holz zu sammeln, ich hab keinen Bock für dich die Drecksarbeit zu machen.“ So sammelten sie etwa eine halbe Stunde lang Holz, bis sie beide auf einen ordentlichen Haufen blickten und entschieden, dass sie damit die Nacht über hinkommen müssten.
Abends als die Sonne fast unterging meinte Senath, dass er fast überhaupt nichts über ihn wüsste, obwohl sie sich schon so lange, in Kinderaugen, kannten. „Woher kam eigentlich deine Mutter? Mein Vater hat mir mal erzählt, dass sie einfach mit einer schönen Stute, es muss wohl Selverslin gewesen sein, vor dem Eingang des Dorfes stand und sich erkundigte ob man ein Haus kaufen könnte.“
Erstaunt sah Larchkam ihn an, die Frage wurde ihm noch nie gestellt. Etwas stockend begann er zu erzählen „meine Mutter und ich wurden aus unserem Dorf vertrieben. Den Grund kenne auch ich nicht genau.“ Larchkam hatte keine Geheimnisse vor Senath, sie erzählten sich alles wenn es die Zeit in der sie nicht stritten zu ließ. Doch sein Tattoo hatte er bisher noch niemandem gezeigt. Sieher’ra hatte ihn ausdrücklich davor gewarnt es jemandem, egal ob Elf oder nicht zu zeigen. So ließ er immer das Hemd an, wenn er von anderen beobachtet wurde, oder das Gefühl hatte beobachtet zu werden. Selbst wenn er in den kleinen Bach sprang um sich abzukühlen, zog er alles aus, bis auf das dünne Leinenhemd. Anfangs wunderte Senath sich über dieses Verhalten und meinte Larchkam hätte nicht alle Tassen im Schrank, doch mittlerweile hatte er sich schon daran gewöhnt.
„Kannst du mir ein Lied singen?“ fragte Senath. Er war der einzige der wusste, dass Larchkam und Sieher’ra Dunkelelben waren. Sieher’ra hatte es Larchkam verboten irgendjemand davon zu erzählen, doch er vertraute nach einiger Zeit Senath und versuchte es ihm schließlich zu erklären. Es dauerte einige Zeit, bis Senath sich daran gewöhnt hatte, denn über Dunkelelben wurden nur grausame und brutale Geschichten erzählt.
„Später vielleicht“ meinte er und sah sich den Sternenhimmel an. Der Mond war eine wunderschön leuchtende kreisrunde Scheibe und erhellte fast den ganzen Wald.
Normalerweise durfte Larchkam nach dem füttern der Tiere in der Frühe in den Wald gehen, mittags musste er wieder kommen und erneut nach den Tieren sehen. Abends, wenn die Sonne den großen Berg ‚Shelta‘ berührte, musste er wieder zu Hause sein, bei den Pferden nach dem Rechten sehen und bekam dann seine Unterrichtsstunden von Sieher’ra, die ihm elbisch beibrachte. Doch da heute sein Geburtstag war, durfte er mit Senath im Wald übernachten. „Ich will nicht, dass du Kontakt zu Menschen hast,“ hatte seine Mutter geantwortet, als Larchkam eines mittags nach Hause kam und von Senath erzählte. Sie trafen sich dann nur noch heimlich und irgendwann hatte Sieher’ra nichts mehr gegen ihre Treffen. „Sage ihm aber nicht, dass du von den Dunkelelben stammst und zeige ihm unter gar keinen Umständen dein Tattoo, das wäre wohl das Schlimmste, was uns passieren könnte.“
Die Nacht fand schnell ihr Ende.
„Wann kommst du morgen? Und wehe du warst wieder ohne mich auf der Jagd.“
„Morgen geht’s nicht. Mein Vater holt zwei neue Kälber und ich muss mit helfen. Aber am nächsten Tag werde ich bestimmt schon vor dem ersten Hahnenschrei hier sein und bestimmt werde ich dann mit vier toten Hasen dasitzen und auf dich warten. Für jeden Arm zwei Hasen. Hört sich gut an, was meinst du?“ er starrte Larchkam an und beide fingen ausgelassen an zu lachen.

# Nin-ha

Die Sonne schien hell und Larchkam und Senath wanderten im Schlenderschritt gemütlich durch die Straßen von Zelledooh. Sie hatten keine Lust in den Wald zu gehen. Hargrim, Senaths Vater, kam am Vorabend betrunken nach Hause und holte mit dem Gürtel aus, was für viele Verletzungen auf Senaths Rücken sorgte. Er verbot ihm, in den Wald zu gehen, da er wusste, dass Senath sich dort am liebsten aufhielt.
Soetwas wie Mitleid oder Mitgefühl hatte Larchkam nicht für Senath, doch er konnte verstehen, dass er jetzt nicht gern alleine war. Tief in seinem Inneren beneidete er sogar Senath dafür, dass er ständig von seinem Vater geschlagen wurde. Er dachte dass es abhärten würde und dass so wahre Männer heranwuchsen. Mit Sieher’ra hatte Larchkam zwar auch seine Probleme, jedoch erhob sie nie die Hand gegen ihn. ‚Wie soll man bei einer Frau stark werden?‘ waren nur seine einzigen Gedanken.
Als sie schon den Dorfrand erreichten hörten die zwei eine Mädchenstimme schreien. Sie sahen sich an und Larchkam rief sofort „Komm, das schauen wir uns an.“ Senath nickte eifrig und beide verfielen sofort in einen kurzen Sprint, bis sie schließlich das sahen, was ihnen die Laune wieder hochtrieb. Ein paar Dorfjungen, jeder um einen Kopf größer als Senath und Larchkam, umzingelten ein Mädchen, dass in der Mitte des Kreises kniete und weinte. Die Jungen schrieen sie an und bewarfen sie mit kleinen Steinen. Senath schaute zu Larchkam „sollen wir helfen?“ schelmisches Grinsen lag in seiner Stimme. Plötzlich lief Larchkam los, ließ einen Wolfsschrei los und landete sogleich auch schon bei dem ersten Jungen, ballte die Faust und schlug so kräftig zu, dass dieser nur seinen Bauch hielt und zusammenbrach. Dann widmete er sich auch schon dem Nächsten, der ebenso schnell zusammenbrach. Larchkam wollte gerade zu dem Dritten rennen, als er starke Schmerzen in seiner Rückengegend spürte, einer der Jungs hatte mit dem Fuß ausgeholt und ihn hart in den Rücken getroffen, worauf Larchkam zu Boden stürzte. Er wollte gerade wieder ausholen und noch härter zutreten, doch Senath gab ihm einen starken Kinnhaken und kämpfte sich nun noch die anderen Beiden vom Hals. Die Dorfschläger standen wieder auf und rannten schreiend und weinend in alle Himmelsrichtungen auseinander. Larchkam fiel es nicht schwer sich aufzuraffen, die Schmerzen war er durch die vielen Auseinandersetzungen mit Senath gewöhnt. Schnurstraks ging er zu dem Mädchen und half ihr auf. Sie bedankte sich doch Larchkam drehte sich um und sagte nur „Folge mir.“

Senath klappte der Mund auf und zu, als er begriff, dass er das Mädchen mit in ihr geheimes Lager bringen wollte. Doch bevor er protestieren konnte, waren sie auch schon da. „Wie heißt du?“
„Nin-Ha“ das Mädchen war etwas irritiert, als sie die kleine Hütte sah und schaute nun abwechselnd die beiden Jungs an. „Wollt ihr mir auch weh tun?“
„Nein. Mach es dir gemütlich.“ Larchkam drehte sich zu Senath „kannst du jagen gehen und uns ein paar saftige Hasen schießen? Ich werde derweil hierbleiben und mich um das Mädchen kümmern, sowie ein Feuer machen.“
Senath konnte kaum glauben was er gerade miterlebte. Es war fast als würde seine Freundschaft, sein Vertrauen gebrochen. Er wollte schreien, schlägern und Blut sehen, stattdessen nickte er, schnappte sich Pfeil und Bogen und ging davon. Nachdem er sich umgedreht hatte, liefen Senath ein paar Tränen über die Wange. ‚Es war ihr Versteck. Sie hatten sich geschworen es niemandem, wirklich niemandem zu zeigen. Noch nie waren sie jemandem zu Hilfe geeilt, wenn er schrie. Es war ihr Versteck und nun saß ein kleines glatzköpfiges Mädchen in ihrem Versteck.‘ Senath kam sich wirklich verraten vor. ‚Larchkam wird dafür schon eine Erklärung haben.‘ versuchte er sich zu beruhigen.
Nach einigen Stunden, Senath hatte sich absichtlich viel Zeit gelassen, kam er schließlich mit vier Hasen aus dem Wald, außerdem hatte er noch einen Raben geschossen.
„Danke, du bist wirklich der beste Freund, den man sich wünschen kann.“ Larchkam sah Senath an und versuchte sich zu entschuldigen. Sie sagten kein Wort, als sie das Essen zubereiteten und aßen. Stunde um Stunde verging und es wurden nur spärlich Worte benutzt. Nin-Ha stand auf „ich muss nach Hause, es ist schon spät.“
„Von nun an wird dir keiner mehr etwas tun, solltest du wieder in Gefahr geraten, sag du kennst Larchkam den Drachenbändiger und Senath den Totenjäger.“
Die kleine lief schnell nach Hause.
„Du bist sauer oder?“ Larchkam sah Senath an.
Senath drehte sich um „Ich bin nicht sauer, ich bin enttäuscht. Ich muss auch gehen, wenn mein Vater herausbekommt, dass ich trotz des Verbotes im Wald war, kannst du dem Gör meinem Platz gerne geben, denn dann wird es mich nicht mehr geben.“ Ohne weitere Worte ging er fort.
Larchkam blieb noch einige Zeit sitzen und starrte die Sterne an, ohne dass er begreifen konnte was passiert, lief eine kleine stille Träne über sein Gesicht.

„Drachenbändiger und Totenjäger?“ Senath nahm noch einmal die gestrigen Ereignisse in Augenschein. „Wie kommst du auf so einen Blödsinn?“ Seine Wut war schon fast verschwunden und nahm Larchkam nichts übel. Hargrim, sein Vater hatte nichts bemerkt und so entging er einer weitern Strafe. Als er am Abend nach Hause kam ging er ohne große Worte sofort zu Bett. Senath wusste, dass Larchkam ihm zu keiner Verpflichtung schuldig war. Sie waren beide freie Menschen und konnten selbst entscheiden, was Richtig und Falsch ist. Das war ihr gegenseitiger Respekt. Sie zwangen sich nie zu etwas.
„Senath?“
„Mmh?“
„Ich bin gestern noch hier geblieben und habe lange nachgedacht.“ Er schaute ihn mit festem Blick an „Was bedeutet ‚Enttäuscht’? Ich kenne das Gefühl nicht.“
„Ich glaube, du wirst es noch früh genug erleben und glaube mir, du wirst nicht glücklich darüber sein.“ Waren Senaths einzige Worte.
So vergingen die Jahre in Zelledooh.


Geschichten vom Drachenbändiger und Totenjäger

# Der Aufbruch

Larchkam und sein bester Freund Senath der einzige Geheimnisträger über Larchkams schreckliche Herkunft, feierten an einem abgelegenen Ort, mitten im Wald in einem kleinen Versteck den achtzehnten Geburtstag von Larchkam. Vor ungefähr fünf Jahren hatten sie angefangen Alkohol zu trinken, meistens klauten sie ihn von Senaths Vater, der einen ganzen Weinkeller voll Sola (eine Art Wein, gegehrt aus verschieden Waldkräutern und so stark wie Whisky) hatte. Larchkams achtzehnter Geburtstag gab alle Gründe zu feiern und sich zu betrinken. Schon in der Früh waren sie auf Jagd gegangen und hatten erst aufgehört als sie ein junges Reh gesichtet, gejagt und schließlich getötet hatten. Das Lagerfeuer brannte hoch in den Himmel und das Fleisch war schon halb durch, als Nin-Ha auftauchte. Sie hatte Brot und ein bisschen Gemüse mitgebracht. Dass zwischen Larchkam und Nin-Ha eine enge Beziehung zueinander hatten, war in dem kleinen Dorf nahezu unbekannt. In all den Jahren in der sie sich nun schon kannten hatte Larchkam nie versucht sich ihr anzunähern.
Sie feierten ausgelassen und gingen erst als die ersten Sonnenstrahlen den Himmel berührten zu Bett. Am nächsten morgen gingen sie alle erst spät nach Hause, als sie das Tor von Zelledooth erreichten und zu Larchkams Hütte bogen, die am nächsten von dem Eingang stand blieb ihnen die Luft im Halse stecken.

Siehera war hoch in der Luft. Sie war an einem Speer aufgespießt worden der in den Boden gerammt war. Der Holzpflock wurde in ihre Scheide gejagt und kam am Kopf wieder heraus. Ihre Arme und Beine hingen schlaff an ihrem Körper und das schwarze Haar verdeckte ihr Gesicht. Man konnte Spermaspuren am ganzen Körper finden.
Alle starrten das grausame Bild an, bis Nin-Ha schließlich weinend zusammenbrach, selbst Senath verzog etwas das Gesicht, doch bei Larchkam, Siehera’s Sohn, regte sich kein Gefühl von Ekel oder Trauer. Langsam ging er zu der Leiche seiner Mutter und holte sie schließlich von ihrem Todesort weg. Als er das Haar aus ihrem Gesicht strich, sah er, dass ihr ein Auge ausgestochen wurde, die Nase abgeschnitten und der Mund zugenäht war. Er holte eine Decke und legte sie über die einst so schöne Dunkelelfe.

„Hol die Pferde Senath, wir brechen auf, außer du kannst dich von dem schäbigen Dorf nicht trennen? Und du Nin-Ha, geh zu deiner Mutter.“ Larchkam sprach ohne ein Gefühl oder eine Regung zu zeigen, seine Stimme war vollkommen monoton. Er selbst wusste nicht genau, was er empfand, nichts weder Trauer noch Verachtung für die Schänder, auch kein Rachegefühl war vorhanden, jedoch etwas Freude. Dass seine Mutter tot war, spielte hierbei keine große Rolle, aber nun endlich hatte er einen Grund aus dem trostlosen Zelledooh zu verschwinden. Nin-Ha hörte auf Larchkam und ging von dem Schandort nach Hause, was Larchkams Entscheidung Aufzubrechen und Zelledooh hintersich zu lassen noch unterstützte.
Senath schaute etwas skeptisch zu Larchkam, nachdem er Nin-Ha noch hinterher geschaut hatte „Was meinst du wir brechen auf?“
„Ich will endlich herausfinden, was es mit meiner Tätoowierung auf sich hat. Als wir damals den Pfeil auf meinen Rücken entdeckt haben, war es das einzige Symbol, dass wir entziffern konnten, außer der großen Sonne in der Mitte, natürlich. Ich will ihm folgen und sehen, wo er mich hin führt. Meine Mutter hat nie sonderlich viel über dieses Brandmal erzählt, jedoch ein wenig weiß ich bescheid.“
„Aber,“ Senath blickte noch einmal einen kurzen Moment zu dem in einem Tuch eingewickelten Leichnam „wir wissen doch gar nicht in welcher Richtung er Zeigt, nur dass er sich auf deinem rechten Schulterblatt befindet und ein aufgehenden Halbmond darüber zu sehen war.“
„Ich denke wir sollen der Sonne folgen, also gen Süden reiten. Die Sonne zeigt, dass es eine Sonnenkarte ist. Wenn ich nun mit dem Gesicht zu ihr stehe, dann deutet der Pfeil auf Süden." In Larchkams stimme lag eine nicht zu brechende Entschlossenheit.
„Nun wir wissen weder ob deine Vermutung, dass es sich hierbei um eine Sonnenkarte handelt richtig oder falsch ist, schließlich ist es nur eine Vermutung. Zu dem kommt noch hinzu, dass wir nicht wissen ob du mit dem Gesicht der Sonne entgegenreiten sollst oder ob es dein Rücken sein soll, der von ihr erleuchtet wird.“ Senath kratzte sich am Kopf.
„Willst du nun mitkommen oder nicht? Wenn ja, dann lass uns an einem anderen Ort von der Karte sprechen, und lass uns nicht darüber diskutieren, ob ich Recht hätte oder nicht.“ Der Dunkelelf sah Senath, seinen einzigen Freund – außer Nin-Ha – an und glaubte soetwas wie Enttäuschung zu spüren, falls der Menschenjunge sich gegen die Reise entschloss.
Nach kurzem Zögern und einen weiteren Blick auf die tote Sieher’ra entschloss er sich seine sieben Sachen zu packen und die lange Reise anzutreten. „Gut ich komme mit dir, jedoch lass mir kurz Zeit um Bernder zu holen, außerdem brauche ich noch etwas Reiseproviant.“ Senath wartete gar nicht die Antwort ab, er drehte sich um und verschwand hinter einem großen Baum.
Auch Larchkam packte seinen alten Lederrucksack, den er einmal von Veruhn dem Gerber geschenkt bekommen hatte. Viereinhalb Leib Brote und einen Dicken Fellpullover steckte er hinein, einen Dolch, sowie etwas Butter füllten den Rucksack fast vollständig aus. Es war nur noch Platz für jeglichen Schnickschnack. Er sattelte Silverslin und hängte noch zwei Lederschläuche mit frischer Kuhmilch an die Sattel.
Das jüngere Pferd "Sanverslin" hatte Larchkam ebenfalls aufgesattelt. Bei einem Verkauf könnte man damit viel Geld verdienen.
Senath war kurzdarauf wieder erschienen, sein Hengst Bernder war vollgepackt mit lauter Zeug, Töpfe, Wintermäntel und sonst noch so einiges was darauf Platz gefunden hat. Senath trug einen schweren Rucksack auf seinem Rücken und ohne Worte zu wechseln, ritten die beiden in den tiefen dunkelgrünen Wald hinein. Nur Senath blickte sich noch einmal um, und sah das kleine Zelledooh sich genau an um jede einzelne glückliche Sekunde, die er hier erlebt hatte sich genau einzuprägen. Mit den dampfenden Kaminen und den roten Ziegeln lag das Dorf wie ein kleiner ruhiger Pol aus, auch wenn es für Senath die größte Zeit seiner Jahre nicht so war. Es dauerte nicht lange, bis er sich an die paar wirklich schönen Tage in Erinnerung gerufen hatte. Da war sein siebter Geburtstag, wo er Bernder bekommen hatte, an seinem zehnten Geburtstag hatte er Sattel und Zaumzeug erhalten – Bernder war in dem Alter geritten zu werden. Ein paar glückliche Tage mit Larchkam waren auch dabei, doch zum Schluss blieb nur dass Bild der Toten Sieher’ra in seinem Kopf, wie sie mit zugenähtem Mund in den Schenkeln aufgespießt war.
„Wir warten bis es Abend wird, dann schauen wir uns den Mond an, wenn er günstig steht, brechen wir sofort auf, wenn nicht lass uns in das nächstliegende Dorf nach Westen reiten, Jungor. Am Tage lass uns Jagen. Wir sollten nur Nachts nach Süden reiten."
Senath ritt still schweigend neben ihm her.

Es war erst Mittag, als die beiden ihre lange Reise nach dem Geheimnis der Tättoowierung antraten. Sie ritten etwa vier bis fünf Stunden, bevor sie eine Lichtung erreichten, von wo man den Mond abends gut beobachten konnte. Sie rasteten und Senath zog aus seinem schweren Rucksack ein großes Ledertuch hervor, dass dazu bestimmt war sie vor Regen und Kälte, aber auch vor Sonne zu schützen, man konnte es an den Enden in den Bäumen aufhängen und wie ein Zelt aufbauen.

# Jungor
Der schweigsame Zauberer

Etwa vier Wochen nach ihrem Aufbruch nach Jungor, erreichten Senath und Larchkam die große Stadt. Schon von weitem konnte man das Schloß erkennen, da die Jungor auf einem großen Berg erbaut worden war. Es war fast unmöglich, diese einzunehmen, nicht einmal mit einem Heer von 10.000 Mann. Die Burg war gesichert duch einen großen Fluss und einer großen steinernen Mauer. Die Soldaten waren normale Soldaten, wie sie jede Stadt vorweisen konnte. Sie hatten ein bisschen Erfahrung mit dem Umgang des Schwertes, aber nur wenige sind bereits in den Geschmack von frischem Blut gekommen. Was Jungor so uneinnehmbar machte, war die hohe Zahl der Zauberer. Diese konnte man jedoch auf der Straße nicht erkennen. Sie hatten keine äußeren Merkmale wie Larchkam die spitzen Ohren hatte.
Wie viele es von diesen Zauberern wirklich gab, war auch in der Stadt selbst unbekannt. Die Einwohner kannten etwa 174 Stück, jedoch die Dunkelziffer war viel höher. Viele von ihnen übten die verbotenen Dunkelzauber aus, deswegen versuchten sie in der Öffentlichkeit nicht aufzufallen.
Kein spitzer Hut, blaue Zaubererumhänge oder lange weiße Bärte waren zu sehen als Larchkam und Senath die Stadt betraten.
Die kleinen dunklen Gassen, die sich in Jungor häuften, schlugen etwas hart auf das Gemüt. Nur wenige Leute konnte man sehen, die regen Fischhandel oder Stoffhandel betrieben. Viele der Bürger gingen wortlos aneinander vorbei und selbst Nachbarn, die sich hier in der Mitte der Stadt trafen und per du waren, zwinkerten sich nur kurz an und senkten den Kopf gleich wieder.
"Trostlose Stadt," bemerkte Senath.
"Auch Zeledooth war trostlos mein Freund. Wir sollten uns zur Eile treiben, dass wir hier nicht untergehen." Larchkam stieg vom Sattel seiner Stute Silverslin und marschierte auf den Fischhändler zu. Er war der einzige der sich nicht von der dunklen Aura der Stadt einschüchtern ließ.
"Fischhändler, ich möchte meine junge Stute Sanverslin verkaufen, wo finde ich einen geeigneten Pferdezüchter?"
Der Fischhändler war ein netter Kerl, trotzdem verhagte es ihm nicht, dass er keinen Fisch an die zwei jungen Männer verkaufen konnte. Er sagte ihnen den Weg und zeichnete eine kleine Karte dafür an.
Schnell hatten Larchkam und Senath die junge Stute Sanverslin verkauft und ihre Beutel mit Gold füllen können.
"Und nun Larchkam?" Senath hatte sich schon anstecken lassen von der Schweremüdigkeit der Stadt.
"Wir werden uns auf den Weg zu einem der hier bekannten Heiler machen."

"Heilung vom weißen Magier Golika" stand auf der Eingangstür. Sie war weiß gestrichen worden und einige Heilkräuter verzierten den Türrahmen.
"Larchkam warte," Senath hielt Larchkam an seinem Hemd fest "du kannst nicht einfach reinspazieren und sagen 'Meister ich hab eine Zeichnung auf dem Rücken, entziffern sie es mir'. Du weißt doch gar nicht, ob es nicht gefährlich ist. Außerdem wird es bestimmt einen Grund haben, warum sich deine Mutter nie darüber geäußert hat."
Larchkam musste sich eingestehen, dass Senath dieses Mal recht hatte. "Nun gut, was schlägst du vor?"
Senath hatte zum Erstaunen von Larchkam tatsächlich eine Idee "Lass uns für diese Nacht einen billigen Unterschlupf finden. Wenn es dunkel geworden ist, werde ich die Zeichen auf deinem Rücken abmalen und wir können morgen wieder hier her gehen. Die Zeichen am hellichten Tage ohne Deckung abzumalen wäre blanker Wahnsinn."

Tatsächlich fanden sie eine kleine Schenke außerhalb der Stadtmauern, die einen gemütlichen Anschein hatte. Sie zahlten ihre Pension und am Abend nahm Senath Federkiel und Pergament zur Hand.

"Wir sollten jetzt reingehen" Larchkam nahm den goldenen Türknauf in die Hand, schaute noch einmal die verschiedenen Pflanzen an und öffnete sie schließlich. Kleine Glöckchen die an die Decke moniert waren, schepperten und machten erheblichen Lärm. Innen war es verraucht, jedoch von frischen Kräutern, die einen angehnemen Geruch verströmten. Viele Goldschälchen und Mürbwerkzeug standen in den Regalen. Mühsam zusammengeklebte Bücher mit abgenutzten Goldlettern standen in den Regalen, die Kräuter die auch den Duft verströmten waren überall zu sehen. Ein paar Kerzen waren angezündet und ihr Lichtkegel fiel auf einen Türbogen, der im hinteren Teil des Landes halb verborgen lag.
"Moment" eine alte, aber nette männliche Stimme sprach aus dem Torbogen. Obwohl sie sehr laut war, hatte der Mann dennoch nicht geschrieen. Es schien fast, als ob die Stimme im Vorderraum des Ladens ihren Ursprung fand.
Ein paar Minuten später trat Golika der Weißmagier aus dem kleinen Hinterraum "Womit kann ich euch dienen? Einen Heilzauber oder vielleicht einen Liebeszauber?" Golinka grinste, jedoch sah er so aus, als ob er Zeit seines Lebens nichts anderes gemacht hätte.
"Nein," Senath nahm das Wort an sich, "wir brauchen Auskunft über ein Zauberpergament."
"Es tut mir leid, junge Freunde, aber ich habe noch nie etwas von einem Zauberpergament gehört."
"Nun, es handelt sich nicht um das Pergament selbst, sondern um das, was darauf zu sehen ist." Senath holte das ordentlich zusammengefaltete Stück Pergament hervor und öffnete es bedacht. Er legte es auf den kleinen Ladentisch, wo auch Glücksanhänger und Wahrsagerkugeln lagen. Larchkam hielt die Luft an. Hier und jetzt könnte sich seine ganze Zukunft entscheiden.
Golika holte ein kleines Monokel aus seiner Tasche und nahm einen Kerzenhalter in die Hand. Als die Kerze hell über das Pergament strahlte und der Zauberer einen Blick darauf werfen konnte, sackte er sofort in den Sessel hinter sich. "Das... das ist unmöglich..." stotterte Golika. Schwer nach Luft atmend sagte er noch einmal "das ist unmöglich!"
Streng blickte der Dunkelelb seinen Freund an. 'Es war ein Fehler, diesen Narr zu Rate zu ziehen.' dachte er bei sich.
"Was genau ist unmöglich?" der Lockenkopf ließ sich nicht von der Show des Magiers beeindrucken.

Es dauerte eine Weile, bis Golika sich wieder gefangen hatte. "Meine Freunde, habt Geduld. Ich werde mich sofort dadrum kümmern. Es wird ein wenig dauern, bis ich die alten Schriften gelesen habe und euch Auskunft geben kann. Aber ich kann euch schon vorher sagen, der jenige von dem ihr das habt, ist von einem großen Glück gezeichnet. Es ist ein uraltes Geschenk."
"Sollen wir morgen wieder kommen?"
"Aber nicht doch" der Zauberer schüttelte den Kopf "nein, so lange wird es nun auch wieder nicht dauern. Wartet hier und teilt eure kostbare Zeit mit mir. Ich werde uns einen Tee machen."
Larchkam wollte schon etwas sagen, aber Senath kam ihm zuvor und blickte den Dunkelelb scharf an "Danke, das ist sehr freundlich."
Als Golika in das Hinterzimmer verschwand schüttelte Senath bloß seinen Kopf und gab damit zu verstehen, dass es jetzt fehl am Platze war, auf Hartnäckigkeit und Unhöflichkeit zu beharren.

Nach dem sie den Tee zu sich genommen haben, sprach Golinka mehr zu sich selbst als zu den zwei "Es handelt sich hierbei um das Zeichen der Liebe."
Larchkam machte große Augen und auch Senath war stutzig. 'Das kann nicht sein, der alte Greis muss sich irren.' dachte sich Larchkam 'auch meine Mutter hatte zwar von einem alten Geschenk gesprochen, aber es ist gefährlich.' Langsam schüttelte er schon den Kopf 'Dunkelelben können nicht lieben. Jeder weiß das. Selbst ich, obwohl ich nicht einmal in dem Dorf der Dunkelelben groß geworden bin.' Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. "Senath, kann ich dich kurz unter vier Augen sprechen?" Der Junge nickte und beide gingen kurz vor die Tür.
"Larchkam, dass ist kompletter Blödsinn, was der Alte da von sich gibt. Es scheint, die Kräuter benebeln seinen Verstand."
"Wieso bin ich nicht in dem Dorf der Dunkelelben großgeworden? Wieso Senath. Meine Mutter hat mir nie erzählt, wie es ist, in einem Dunkelelbendorf zu leben, geschweige denn, wo ich es finden kann. Vielleicht ist meine Mutter damals geflohen."
"Nun," Senath blickte etwas nach links und nach rechts, anscheinend hatte er angst, belauscht zu werden "das könnte sein, ein Dunkelelb der liebt, von so etwas habe ich noch nicht gehört. Lass uns wieder reingehen und hören, was der Alte zu sagen hat."

"Es ist das Zeichen der Liebe, so viel steht fest und ihr werdet auch von niemanden etwas anderes hören. Es wäre interessant, von dem Zeichen mehr zu erfahren, wer sein Träger ist. Aber das wird wohl unmöglich sein. Das Pergament ist schon sehr alt und das letzte mal wurde vor 200 Jahren von so einem Tattoo berichtet."
'Du dummer alter Narr, nur weil das Pergament verstaubt ist, soll es nicht heißen, dass es alt ist, aber du mit deiner Törichtkeit tust du mir nur einen gefallen.' Larchkam nickte nur.
"Es zeigt den Weg zu den ältesten Geschöpfen, die auf Erden wandeln. Zu den Lichtbringer - den Novthem. Es wird unmöglich sein, ohne eine 'lebendige Karte' diesen Weg zu finden, aber alleine das Zeichen, dass die Hoffnung noch besteht, dass die Novthem noch leben, ist einfach unglaublich." Golika stand von seinem Stuhl auf und ging in durch den Torbogen. Nach ein paar Minuten kam er mit einer weiteren Tasse Tee wieder in den Vorderraum des Ladens. Er setzte sich auf den Stuhl und sprach weiter. "Die Karte der Novthem ist nur ein Teil des Rätsels. Niemand kann sie lesen, da die Zeichen bei jeder Karte anders sind. Niemand. Weder Mensch, Zauberer, Elb oder Zwerg. Selbst eine Studie über alle Karten würde nur das Ergebnis bringen, dass die Novthem einzigartig sind und mehr als 1000 Sprachen beherrschen, derren Existenz für uns im Dunkeln liegt." Nach einer kurzen Pause sprach er weiter. "Es wird immer ein Mädchen zu der Karte geboren. Immer nur ein Mädchen. Sie beherrscht diese Sprache und kann die Rätsel der Karte preisgeben."

Stille kam in den kleinen Raum. Es dauerte etwas, bis wieder einer etwas sagt, nun war es Larchkam. "Wie findet man dieses Mädchen?"
"Nun junger Herr, es ist unwahrscheinlich, dass das Mädchen noch lebt, in Anbetracht, dass das Pergament schon sehr alt ist."
'Du alter Narr, du legst dir mit deiner Dummheit selbst Steine in den Weg.' Bedacht wählte er nun seine Worte "Wie haben die Träger dieser Karte dieses Mädchen gefunden?"
"Es ist von niemandem bekannt, dass er jemals die Novthem besuchen ging. Die jenigen die es versuchten, haben nichts mehr von sich hören lassen. Die meisten jedoch dachten, sie wären einfach nur gebranntmarkt vom Teufel bessen und gingen weiter ihrer Arbeit nach." Der Zauberer legte eine Hand vor das Gesicht und nuschelte bloß "Schrecklich" und dann wieder "schrecklich, was diese Menschen erlebt haben mussten und das nur wegen Unwissenheit."
"Nun, die jenigen, die angefangen haben, nach dem Mädchen zu suchen, was waren ihre ersten Schritte?"
Senath machte noch etwas druck.
Golika starrte in das Gesicht der beiden Männer "nun, sie sagten meist, sie wüssten bereits, wer das Mädchen war und gingen fort."
"Wir wissen es nicht alter Mann, wir kommen morgen wieder und dann hast du eine Antwort." Larchkam drehte sich in Richtung Tür.
"Ihr seid Teufel. Ja, das seid ihr" das Grinsen ist bereits aus dem Gesicht des Magiers verschwunden. "Teufel. Wer sonst bleibt so kaltherzig und egoistisch bei einer solch großen Sache? Schert euch hier weg und lasst euch nie wieder blicken." Golika schmiss nur noch eine alte Goldschale nach ihnen.